Teilnehmer:innen an der Ausstellung "IM FLUSS I" unter dem Autobahnviadukt Rüssegg, Luzern
Die Jury hat am 27. Februar unter 13 eingereichten Beiträgen folgende acht Projektverfasser:innen ausgewählt:
Yvonne Christen Vàgner (*1959)
ist Bildhauerin. In ihren Installationen reagiert sie direkt auf den gegebenen Raum oder Ort. Sie beschäftigt sich mit Materialien, die Zeitlichkeit zum Ausdruck bringen. In aktuellen Arbeiten verwendet sie Moos, gebrauchte Gegenstände und Fotos. Wiederverwenden von gebrauchten Materialien ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Installationen mit Moos macht sie in der Natur ,oder sie bringt die Natur in den Raum. Die Schnittstelle von natürlich und künstlich findet sie spannend. Es geht ihr um das Reflektieren im Zeitalter des Anthropozän.
"Little House"
Unter der Autobahnbrücke. Auch beim Bau dieser Autobahn mussten Häuser weichen. Was bleibt? Ein Häuschen, vergessen und verschüttet, wieder aus dem Schutt hervorbrechend. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Es braucht ein Innehalten um zu sehen, dass die Umwelt auf verschiedene Arten reagiert. In Folge des auftauenden Permafrosts werden Berghänge instabil und können weitere Häuser verschütten. «Little House» ist aus einem gebrauchten Gartenschopf zusammengesetzt und das Dach mit moosigen Dachziegeln belegt.
gasser & gisler, Monika Gasser (*1952) und Pia Gisler (*1959),
haben ein besonderes Gespür für Installationen, die nicht nur auf die räumliche Umgebung Bezug nehmen, sondern auch die politische, gesellschaftliche und historische Dimension auf eindrückliche Weise in ihre Arbeit miteinbeziehen.
Das Projekt «Verbindung» von gasser&gisler ist eine feine Intervention an der mit einem Gitter stabilisierten Böschung unter der Autobahnbrücke Rüssegg. Dieses Gitter weist kleinere und grössere beschädigte Stellen auf. Das sind Schwachstellen in einer Struktur, welche sich mit der Zeit zu Problemen entwickeln könnten.
gasser&gisler werden diese Löcher mit einem goldfarbenen Draht flicken. Somit erscheinen an einer bestimmten Stelle (anfangs des Viadukts von der Stadt her gesehen) mehrere glänzende Flickstellen. Sie werden ein wenig aufleuchten in der grauen Fläche aus Geröll und Draht. Es ist eine sensible Arbeit, die zeigt, dass fremde Elemente in einer monotonen Struktur «heilsam» und eine Bereicherung sein können. Sie zeigt, wie durch das Ergänzen mit neuen Elementen etwas Bestehendes gestärkt und lebendig gemacht werden kann.
Roland Heini (*1960)
beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit architektonischen Themen, konstruktiven und minimalistischen Fragestellungen. Er entwickelt Plastiken für Orte, Räume oder Situationen.
Der «Ring» ist eine schlichte, einfache, um einen Brückenpfeiler gebaute Plastik, die zum Verweilen einladen möchte.
Heidi Hostettler (*1958)
taucht für ihre Werke in schwerer Montur mit einer Spezialkamera ab. In den nahen Seen findet die Tauchfotografin ihre Inspiration und laboriert mit Themen über einen langen Zeithorizont. Die Bilder aus dem schwerelosen Raum über-raschen und können mehrfach gelesen werden.
"EinFluss", Videostills unterwasser auf feiner Plache, 80x200cm
Die Emme beeinflusst die Reuss beim Rüsszopf und umgekehrt. Die Braune vom Lande vermengt sich mit der Grünen von der Stadt. Der Zusammenfluss von See- und Flusswasser mit unterschiedlichen Temperaturen passiert über einen längeren Streckenabschnitt. Was sich von oben als harte Trennschicht zeigt, geschieht unterwasser nicht abrupt. Die Wellen und Wasserläufe haben auch unterschiedliche Tempi. Doch ein gutes Stück flussabwärts hat sich alles beruhigt und farblich angeglichen.
Für Monika Kiss Horvath (*1958)
kommt in den Trümmern des Vorhandenen die Imagination für die orts- oder raumspezifische künstlerische Intervention zum Vorschein. Unter dem Rüssegg-Viadukt sieht sie marginal einige wenige Pflanzen wachsen, wo kein Regen hinfällt und die Photosynthese kaum stattfindet. Pilze tauchen keine auf und die Tiere treffen sich weitgehend am nahen Flussufer. In der trockenen Stein- und Sandwüste gibt es vor allem eines: Schatten. Staub wirbelt beim Gehen auf, als wäre die Luft aus Erde. Der Raum greift vergeblich nach oben, weil er dort auf das schwere Betondach stösst. Dieses Dach, in Wahrheit die Unterwelt der Autobahn, wird von dicken Säulen gestützt, zwischen denen der Blick ein- und ausgeht. Ab und an wirft der Fluss Reflexe. Das Rauschen und Poltern des herabschallenden Fahrzeugverkehrs spielt den Soundtrack zur dystopischen Szenerie. Ihr künstlerischer Vorschlag für den Ort ist eine goldene, hell leuchtende Scheibe in direkter Verbindung mit dem Beton: «LUCERNA».
Niklaus Lenherr (* 1957)
besuchte von 1977 bis 1980 die F+F, Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich, welche ihn prägte und sich bis heute nachhaltig auf sein Schaffen auswirkt. Dabei arbeitet er meistens von den äusseren Rändern der Kunst her und legt sein Hauptmerkmal auf kunstfremde Materialien. Aber auch Kollaborationen und Spartenübergreifendes (Literatur, Musik, Theater, Architektur) interessieren ihn. 1978 fand seine erste Performance «Unwohl zur Unzeit» in der Kantonsschule Rothen in Littau/Luzern statt. Ein Jahr später startete er seine Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland. 2015 begannen Niklaus Lenherr und Albert Schnyder mit dem Lager-Projekt «Der letzte Koffer». Dabei wird das eigene künstlerische Werk gesichtet, bewertet, reduziert, kassiert und dokumentiert.
Das ephemere Performance-Projekt „DURCH-GEHEND“ entstand 2023 explizit für den Start-Event des Projekts „Kunst im Fluss“. Es verweist auf und akzentuiert den rollenden Verkehr auf der Autobahnbrücke und den Wanderweg darunter. Niklaus Lenherr wird auf dem Wanderweg unter dem Viadadukt mittels einer mitgetragenen Holzleiter - und bekleidet mit einer orangen Schutzweste - die Betonsäulen hoch und herunter steigen. Dabei verweist er auf mögliche Wartungs-, Reparatur- oder Instandstellungsarbeiten zwischen dem Wanderweg und der Autobahn.
Unbekannt
Der Ort lebt von den anonym gemalten Graffitis der letzten 30 Jahren und gibt ihm den «undergroundigen» Groove urbanen freien Raums.
Die Bildende Künstlerin Claudia Vogel (*1971) und die Choreografin Claudine Ulrich (*1962) beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit dem Flüchtigen, dem Ephemeren, jede auf ihre eigene Art. Es geht beiden Künstlerinnen um den Moment des Erlebens und um eine sinnliche Erfahrung. Claudia Vogel beschäftigt sich in ihrer Arbeit vor allem mit der olfaktorischen Wahrnehmung und ist fasziniert von der engen Verknüpfung der Gerüche zu abgespeicherten Erinnerungen. Bei Claudine Ulrich ist es das Interesse an der Interaktion des menschlichen Körpers im und mit dem Raum sowie dessen «Inbesitznahme». Sie inszeniert gerne im öffentlichen Raum und an unerwarteten Stellen.
In der gemeinsamen Performance „perfumum mobilis“ von Claudia Vogel und Claudine Ulrich setzen die Künstlerinnen das Flüchtige ins Zentrum: Eine für diesen Anlass gebaute Räucherkugel wird mit gebündelten Pflanzen befüllt, die an diesem spezifischen Ort hätten wachsen können. Das Immaterielle des Geruches manifestiert sich über die Pendelbewegung der Räucherkugel. In der Umgebung des «Fort-Eilens» entsteht so ein Moment des Verweilens.
Die Bildthemen von Stephan Wittmer (*1957) handeln vom Unterwegssein und vom ständigen Wandel, der für viele bedrohlich erscheint. Dabei denkt er den physischen Raum von Fotografie weiter, hinterfragt klassische Präsentationsmodi und erweitert diese installativ. Um Fotografien als Kunstwerke im Raum zu zeigen, setzt sich der Künstler mit der Materialität von gespeicherten Bilddateien auseinander. Er entwickelt neue Herangehensweisen und Strategien zur Vermittlung, die zu konzentrierten Installationsmomenten führen. Wittmer erschafft Bilder an der Wand, im Raum und um uns selbst. Es verschmelzen die eigene und fremde Wahrnehmung miteinander und ihre Verschiedenheit findet sich in einem symbiotischen Einklang wieder. Ob physisch oder mental, für Stephan Wittmer geht es immer auch um den erlebbaren (fotografischen) Raum. Die künstlerische Praxis von Stephan Wittmer wird mitgeprägt durch seine kuratorischen und verlegerischen Projekte.
Der markante Schriftzug «ROLLSREUSS» setzt ein ortsspezifisches Statement und visualisiert unüberhörbar und eindringlich: der Verkehr rollt, die Reuss fliesst. Rollt die Reuss? Fliesst der Verkehr? Alles rollt und fliesst. Der (poetische) Unort erhält eine (un)erhörte Dimension: spielerisch, glamourös, doppeldeutig. «ROLLSREUSS» erzeugt Bilder und Vorstellungen im Kopf, lässt (vielleicht) an Hollywood denken oder an ein geplantes «WELCOME» in St. Moritz. Willkommen in Luzern! «ROLLSREUSS» begrüsst die Menschen auf dem Spazierweg, aus dem Zug, aus dem Bus, aus den Autos von der Strasse gegenüber und bringt ihre Gedanken in Fahrt, ins Fliessen, Rollen, Treiben oder Träumen. Ob die Reuss zu hören ist? Von wo komme ich und wohin geht meine Reise? Mit dem Verweis auf eine Auto-Luxusmarke stellt die aus Billigmaterialien hergestellte Buchstabenfolge pointierte Wertefragen, die jeder für sich beantworten muss.